Markus Brenner, Fische im Badeanzug
aus FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
Kunststück! Ausgabe 11./12./13. Jannuar 2008
Was haben Sie sich dabei gedacht, Herr Brenner?
Weshalb schwimmen Fische nackt? Darauf mag es viele Antworten geben, mangelndes Modebewusstsein gehört eher nicht dazu. Die Vorstellung, dass eine Forelle im maßgefertigten Badeanzug ihre Runden zieht, um Aufmerksamkeit zu erwecken, klingt verrückt. Doch für mich ist’s Alltag. Vor meiner Kamera tragen Fische Bademode.
Ich suche in Sportgeschäften, Modehäusern, Dessousläden nach schicken Schwimmkleidern für meine Fische. Ich untersuche Stoffe nach Fischtauglichkeit - drehe und dehne sie. Wenn ich die Stöffchen zum Transparenztest ins Licht halte, fragen mich Verkäuferinnen oft nach der Körbchengrösse meiner Freundin - nicht selten genervt und irritiert. Schliesslich mussten sie zusehen, wie ich quer durch alle Größen auf seltsame Weise an der Ware herumgezogen habe. Meine Antwort "Egal, ist für einen Fisch" macht die Sache kaum besser. Um mir Peinlichkeiten zu ersparen, führe ich deshalb immer Fischbilder und Schnittmuster bei mir.
Die Badeanzüge werden von einer Schneiderin auf ein Modellmaß geschneidert, etwa 600 / 40 (Gramm / Zentimeter). Fürs Shooting bestelle ich beim Fischer meine Wunschforellengröße im halben Dutzend. Ich lege sie auf Eis und fahre sie ins Studio. Dort heißt es anziehen, ausziehen, anpassen: Nicht jedem Fisch steht jeder Badeanzug. Fische haben wie Menschen individuelle Figuren und Gesichter. Dieses Inszenieren wird zum Spiel von Identität und Individualität. Zwischen den Fischen und mir entsteht eine Beziehung. Manchen gebe ich Namen. Und plötzlich erblicke ich mich selbst, wenn ich ihnen in die Augen sehe...
Fotografiert wird mit einer Großformatkamera. Die Diabilder werden hoch aufgelöst eingescannt, der weiße Hintergrund digital gesäubert. Später wird das Bild per LightJet-Verfahren ausbelichtet. Allerdings: Je länger das Shooting in der großen, weißen, beleuchteten Wanne dauert, desto stärker schwindet das Leben aus den Augen meiner Modelle. Die Freude über die Bilder kippt mitunter in Melancholie und Traurigkeit. Mit dieser Arbeit pendle ich zwischen dem Schönen und Schrecklichen, komme dem Tod ganz nah, den Widersprüchen des Lebens. Vielleicht muss man ja lustvoll die Oberfläche feiern, um etwas über die Tiefe zu erfahren?
Protokoll: Judith Borowski